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Von den Mühen eines Wanderleiters

Ich fange mal so an:

Ich bin schwul und das ist gut so! - Ja so ein Satz darf ich natürlich nicht sagen, das ginge nur, wenn ich Regierender Bürgermeister in einer etwas größeren Stadt als Weimar wäre.

Also fange ich anders an: Ich bin Wanderleiter und das ist gut so!

Eine schöne Behauptung, aber jeder Wanderleiter stellt sich fortwährend die Frage, "Ist das gut so ?" oder genauer "Bin ich gut, so wie ich die Gruppe führe?"

Eine neuere medizinische Erkenntnis stellt heraus, das ab und an mal Streß bei älteren Menschen das Nervensystem entschlackt.

Also Wanderfreunde: Ich rate Euch, versucht Euch zwischendurch ruhig mal als Wanderleiter, da gibt es Streß ohne Ende.

Das beginnt schon früh am Bahnhof, ob der Zug auch pünktlich kommt und ob die anvisierte Umsteigezeit für den Anschlußzug ausreicht. Das Bangen um verträgliches Wetter beginnt schon 2 - 3 Tage vor der Wanderung.

Den ganzen Wandertag verläßt einen der Zeitstreß nicht. Man weiß ja, am Vormittag läuft die Truppe immer langsamer als am Nachmittag, wenn der Bahnhof oder vorher sogar noch ein Cafe in Sicht sind. Also heißt es, heimlich antreiben oder gelegentlich bremsen, denn wer eine Stunde zu früh am Bahnhof ankommt, erntet auch keine Blumen.

Als Wanderleiter sollte man ja immer vorne weg laufen, aber so schnell, wie die jugendlichen Wandermädchen kann man als Wanderleiter oft gar nicht mitrennen, man muß auch dauernd nach hinten schauen, sonst reißt das Feld hoffnungslos auseinander.

Als Wanderleiter ist man natürlich für Pausen und für schöne Pausenplätze zuständig und natürlich für Toilettenangelegenheiten, aber das Thema schmücke ich hier nicht aus.

So richtig zusätzlichen Streß kann man sich organisieren, wenn man die Wandergruppe mittags in ein Restaurant führt, denn die Geschwindigkeit der Bedienung hat man ja bei der Vorwanderung nur allein oder allenfalls zu zweit getestet. Jetzt aber wollen gleichzeitig 30 oder mehr Wanderfreunde etwas Trinken, Essen und Bezahlen. Und für all das hat man beispielsweise nur 70 min eingeplant.

Ganz besonders toll wird die Situation dann, wenn man sich früh in der Restauration noch mal über das Handy in Erinnerung birngt, dann in Sicherheit wiegend den Fuß über die Gasthausschwelle setzt und dann von lustig Zigaretten rauchenden Kellnerinnen mit dem fröhlichen Ruf begrüßt wird: "Essen is nicht",so gerufen mit böhmischen Akzent in Hranice (dem ehemaligen Roßbach).

Auch in Sachsen erlebt man, dass Wanderfreunde kaltschneuzig von einem Waldcafe- Personal geschnitten werden, weil man seine Wandergruppe nicht vorher treudeutsch angemeldet hat.

Für alles und für Jeden ist natürlich der Wanderleiter zuständig und seien es offenstehende Fenster und Türen, durch die kühle Wanderluft von außen in die Kneipe dringt.

Wirklich begeistern kann den Wanderleiter aber dann, wenn er von seinem Wissen und dem Angelesenen der Gruppe etwas mitteilen darf. Natürlich heißt es auch da erst mal warten, bis die letzten herangeeilt sind, wenn das Gros schon ein paar Minuten auf der Stelle steht. Das gibt dem Wanderleiter aber auch die Chance, mal verstohlen auf seiner Uhr nachzuschauen, ob er noch im Zeitplan liegt. Bevor die mit traulichem Gespräch versunkenen Wanderfreunde zur Gruppe aufschließen, muss der Wanderleiter schnell noch für sich (und für die langsamen Schnatterinchen) entscheiden, ob er schon anfängt zu reden oder ob er noch wartet. Für diesen Zeitpunkt gibt es unter den Wanderleitern keine einhellige Lehrmeinung. Aus der Tatsache, dass manchmal, also eigentlich nur ganz selten, auch noch weiter geschnattert wird, wenn er schon mit seinen mehr oder weniger spannenden Ausführungen begonnen hat, muß man schließen:

Die letzten Schulnoten oder der letzte Keuchhusten der Enkelkinder sind allemal so wichtig, wie der geologische Aufschluß, weswegen man sich früh eigentlich aus den Federn gerissen hat. Das Befinden der Enkelkinder beispielsweise ist genau so einmalig, wie der Buntsandstein von vor 220 Mill. Jahren. Diese roten Steine sind ja in 1000 Jahren auch noch da, die Enkelkinder dann nicht mehr und deshalb sollte der Wanderlleiter -auch wenn es ihm schwerfällt- Verständnis dafür entwickeln, dass das gerade in diesem Augenblick an den Mann oder an die Frau gebracht werden muß.

Genug der vielen Freuden eines Wanderleiters ... Wer all das hört, was einem Wanderleiter so Streß macht, fragt sich ganz besorgt, warum tut die Frau oder der Mann sich das an?

Ja, so richtig erklären kann man das halt nicht. Eine mögliche Antwort liegt in der missionarischen Erfahrung, wenn man für sich mal eine Gegend erkundet hat und dann auf die naive Idee kommt: Das möchte man auch mal Anderen zeigen.

Wer eine eigene Antwort auf diese obige Frage sucht, sollte selbst einmal eine Vorwanderung für eine spätere Exkursion machen. Dieses Erlebnis ist immer wieder phänomenal und zudem v ö l l i g streßfrei.

geschrieben von Dr. Bernd Dahm zur Jahresendversammlung 2007

Weimar — 22. November 2007