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Der Rabe von Merseburg


Ein Vogel von ganz schlechter Gabe
Das ist der list'ge schwarze Rabe.
Ich will von einem Euch erzählen,
der durch Urahns hässlich Stehlen
sitzt im Zwinger, ist gefangen,
wie's vor ihm vielen schon ergangen.

Einst wohnt' im Merseburger Schloss
Der Bischof Thilo und sein Troß.
In steter Eintracht floss das Leben,
und hat es machmal Streit gegeben,
Schuld trug dann Thilos jäher Sinn,
der oft zur Untat riss ihn hin.

So hat von diesem Zorngebaren
Gar bald denn auch sein Freund erfahren.
Er schickt ihm einen Ring aus Gold,
der täglich ihn ermahnen sollt,
dass Ruhe und Besonnenheit
viel weiter führt, als Reizbarkeit.
Gar wertvoll hielt er diesen Ring,
an dem sein ganzes Herze hing.
Sein treuer Diener, der Johann
musst früh den Ring ihm stecken an,
am Abend putzt' er stets ihn blank
und legt ihn in des Bischofs Schrank.

Es war an einem heißen Tag,
der alte Thilo schlafend lag
in seinem hohen Bischofsbett,
den Ring legt er aufs Fensterbrett.
Am offnen Fenster sucht er Kühle
Vor sommerlicher Hitz' und Schwüle.
Doch wehe! Er erwacht nach Stunden,
da ist der edle Ring verschwunden.
"Wo ist mein Ring", ruft er, "Johann,
so fange doch zu suchen an!"
Der Johann sucht an jedem Ort,
kehrt alles um, der Ring bleibt fort.
Er ruft herbei das Hausgesind:
"Reich lohn' ich, wer den Ring mir find't!"
Wer hätt' das Geld nicht eingesteckt -
Allein der Ring blieb unentdeckt.
Da plötzlich und vor Wut entstellt
Des Bischofs Wort im Schlosssaal gellt:
"Johann, du warst mir wert und lieb,
doch heute bist nur du der Dieb.
Drum fort aus meinen Augen hier,
bald wirst Du hören noch von mir!"
Dem treuen Diener, blass vor Schreck,
blieben zuerst die Worte weg:
doch bald fand er die Sprache wieder,
wirft sich vor seinem Herren nieder:
"O Herr, wie könnt Ihr glauben,
ich wollte Euch berauben?"
Drauf trotzig nur der Bischof spricht:
"Geht, foltert ihn, dann vors Gericht!"

Sooft die Folter man erneuert,
Johann die Unschuld stets beteuert.
Wie sehr er auch sich tapfer zeigt,
am Ende hat man ihn erweicht.
Die Schmerzen kann er nicht mehr tragen,
muss endlich schuldig sich anklagen.
Thilo von Trotha, kurzerhand
Beordert ihn in Henkers Hand;
Und alles Bitten, alles Flehn
Hilft nichts, um Johann ist's geschehn.

Auf dem Schlosshof baut man schnell,
ein erhabenes Holzgestell,
dort steht schon mit schwarzem Rock
der Richter vor dem Richteblock.
Ringsherum die tolle Menge
füllt den Hof und alle Gänge.
Der Johann steigt die Stufen hoch,
beteuert seine Unschuld noch:
"Mög der Herrgott mir zu Ehren
Euren Irrtum bald aufklären!"
Dann stirbt er seinen bittren Tod,
der ihn erlöst aus Erdennot.

Und Jahr um Jahr wird dann gemessen,
den Diener hat man fast vergessen;
bis eines Tags mit Urgewalt
ein Sturmwind sich zusammenballt.
Er fegt die Ziegel von dem Dache,
knickt Bäume selbst mit lautem Krache;
das schwarze Rabenvolk krächzt laut
und macht sich feige aus dem Staub; -
ein Bersten dann ein Fallen, Splittern,
der Glockenturm gerät ins Zittern,
mit Toben, Poltern donnergleich
stürzt er in den Schlosshofteich.

Am nächsten Morgen, welch Gedränge
Im Hofe sammelt sich die Menge,
zu sehn, ob Unheil diese Nacht
der Sturmwind übers Schloss gebracht.
Indes sind auf dem Dache schon
Geselle, Meister und der Sohn
und habe schnell beraten,
wie man behebt den Schaden.
Schon wolln den Turm sie abwärts gehn,
was muss des Meisters Augen sehn:
Unter Balken, festgepreßt
Klemmt ein verlass'nes Rabennest
und in dem Nest, voll buntem Tand
zuletzt des Bischofs Ring er fand.

Er schwingt das Kleinod in der Luft
und in den Hof er gellend ruft:
"Den Ring, für den einst Johann litt,
ich fand ihn in des Nestes Mitt'.
So ist sein Unschuld nun bewiesen,
der Herrgott sei darob gepriesen!"
Laut fluchend johlt die Meute dann,
klagt Thilo scharf des Mordes an.
Der sitzt in froher Gastmahlsrunde,
als Ihn erreicht die Schreckenskunde!
An Gliedern zitternd, totenbleich
Verlässt das Schloss er all sogleich.
Lang irrt er nachts durch alle Säle,
sucht zu beruhigen seine Seele.

Im Schlosshof dann auf engen Raum
lässt einen Zwinger er erbaun.
Du siehst noch in der heut'gen Stunde
dies Bauwerk in der Mauern Runde.
viel hundert Jahre gingen hin,
zur Straf' saß stets ein Rabe drin.
Denn Bischof Thilos Rache müssen
die Rabenkinder heut noch büßen.
Dann nahm er für des Hauses Zier
den Raben an als Wappentier.
Gar bald musst man ins Grab ihn legen
ohn Reu und seiner Landsleut Segen.
Kommst Du nach Merseburg, halt an
und schau den ew'gen Raben an,
und die Moral von der Geschicht':
"Sei mäßig und vergiß dich nicht!"

Ernst Schindhelm
(Vater von Margund Malsch)


Wanderplan 2007

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